15 Jahre Recruiting Trends: Jubiläumsinterview mit Studienleiter Tim Weitzel

Happy Birthday Recruiting Trends. Die jährlich erscheinende Monster-Studie in Kooperation mit der Universität Bamberg feiert in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag. Im März erscheint die neueste Ausgabe. Für uns hat Studienleiter, Professor Tim Weitzel, die lustigsten, kuriosesten und spannendsten Ergebnisse der letzten eineinhalb Dekaden zusammengetragen. 

Das Interview führte Sonja Dietz

Welche Trends im Recruiting sind in den letzten 15 Jahren aufgekommen und haben sich zu echten Dauerbrennern gemausert? 

Die großen externen Treiber der letzten 15 Jahren sind Demografie und Fachkräftemangel, insbesondere in der Wirtschaftsinformatik und IT, Wertewandel und neue Formen der Arbeit sowie die allgegenwärtige Digitalisierung. Daraus entstanden für die Unternehmen vor allem die Themen Mitarbeiterbindung, Employer Branding, Social Media und Mobile Recruiting, Hochschulmarketing, Mitarbeiterempfehlungen und Active Sourcing. Aber auch auf den ersten Blick weniger spektakuläre Schwerpunkte wie die umfassende Professionalisierung in HR mit Aspekten wie Rekrutierungscontrolling, Sichtbarkeit des Personalmarketings und seines Geschäftswertbeitrages, oder Zielgruppenorientierung und Mitarbeiterempfehlungen sind Kernherausforderungen.

Meist auf den hinteren Plätzen – aber nicht unwichtig – blieben die Themen internationale Rekrutierung, Rekrutierung älterer Personen, antizyklisches Rekrutieren, Assessment und virtuelle Welten, wobei das Thema Augmented Reality (AR) im Moment wieder etwas „im Kommen“ ist.

Welche Haupttrends ließen sich ausmachen? 

Ein Haupttrend der letzten Jahre bis Jahrzehnte ist die Umkehr der Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt – King Candidate. In vielen Bereichen sind passende Kandidaten knapper als Arbeitsplätze, so dass sich die Unternehmen bei den Kandidaten bewerben und Kandidaten wechselfreudiger werden. Ursachen sind unter anderem die demografische Entwicklung, der wir uns in der Studie Bewerbungspraxis zwischen 2005 und 2010 intensiv gewidmet haben. Die Folgen daraus sind die aus dieser Notwendigkeit entstandenen Bemühungen zu Employer Branding, Active Sourcing und die starke Zielgruppenorientierung.

Auch der Trend der Professionalisierung wurde intensiv beleuchtet! 

Ein weiterer – eng verwandter – Trend ist die Professionalisierung im Recruiting mit Prozess-Standardisierung, die wir beispielsweise für die Recruiting Trends 2009 in einer Fallstudie mit Philips näher untersuchten. Hier ergab sich, dass ein Rekrutierungs-Controlling und Geschäftsprozessmanagement die Kosten um ein Drittel reduzieren und die Geschwindigkeit erhöhen und sogar die Qualität der Bewerber und Bewerbungen verbessern kann. In diesem Zuge haben sich die Rekrutierung von der Sachbearbeitung zur komplexen Beratungs- und Gestaltungsaufgabe und das Jobprofil des Recruiters fundamental geändert.

Welche Recruiting Trends sind Eintagsfliegen geblieben?

Echte Eintagsfliegen waren Themen wie die anonyme Bewerbung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), „Green Card“, reverse coaching oder die spannenden aber letztlich experimentellen Rekrutierungsgespräche in der virtuellen Welt Second Life.

Was waren die kuriosesten Erkenntnisse, die Sie je aus den Recruiting Trends herausgefiltert haben? 

Soft-Skills sind wichtig und ein zentrales Auswahlkriterium und sogar wichtiger als Hard Skills und 80 Prozent der Unternehmen bieten Soft-Skills-Schulungen an, aber nur 20 Prozent glauben, dass Soft-Skills wirklich lehr- und lernbar sind.

Oder: Ein Teil der Mitarbeiter im Home-Office sagt, sie müssten ein paar Stunden pro Woche zusätzlich arbeiten, um dem allgegenwärtigen Urlaubsverdacht entgegenzuarbeiten. Und ein Teil der Mitarbeiter im Büro sagt, sie müssten ein paar Stunden pro Woche zusätzlich arbeiten, um auszugleichen, was die Kollegen im „No Office“ nicht machen.

Augenöffnend war auch die Frage: Wie gut sind die Unternehmen auf das Einstellen von Kandidaten der Zielgruppen GenY, Frauen, ältere Personen und Kandidaten aus dem Ausland vorbereitet? Die Unternehmen bewerten sich jeweils bis zu einer Schulnote besser als die Mitarbeiter, vor allem bei älteren Kandidaten.

Das waren nicht die einzigen Fun-Facts, richtig?

Stimmt! Diese hätten wir noch: Viele Berufsanfänger denken, sie seien eventuell zu alt, aber vielen Unternehmen sind die Berufsanfänger zu jung. Viele Studenten halten aus Angst vor dem Recruiter eine kurze Studiendauer für wichtiger als Praktika, der Recruiter hätte lieber etwas praktische Erfahrung. Kandidaten und Recruiter bemängeln, dass beim Vorstellungsgespräch die andere Seite höflicher, pünktlicher und besser gekleidet sein könnte.  Und: 11 Prozent der Männer glauben, mit Frauenquoten besser einen Job finden zu können, drei von vier Frauen halten es für unerheblich oder schwieriger, und nur Baby Boomer finden Unternehmen mit Frauenquoten sympathischer und bewerben sich dort eher.

Bitte priorisieren Sie die Top-Trends der nächsten drei Jahre

Zielgruppengenaue Ansprache: Kennen, Verstehen, Finden der richtigen Kandidaten, „richtige“ Ansprache durch Kenntnis der Ziele und Werte. Beispielsweise flexible Arbeitsformen, Weiterbildungsmöglichkeiten.

Integration: Ausbau und Integration der HR-Systeme und Prozesse: Die Ansprache und Kommunikation mit Kandidaten wird schneller, besser und konsistenter und bietet eine durchweg positive Candidate Experience.

B-Plan: Wie kann ich damit umgehen, dass es keine perfekten Kandidaten gibt?

Arbeit der Zukunft: Wie können Wünsche der Kandidaten-  räumlich und zeitlich flexible Arbeit, home office  – und Anforderungen der Aufgaben im Unternehmen wie Präsenz, Konsistenz oder Erreichbarkeit aufeinander abgestimmt werden?

Digitalisierung, Automatisierung, datengetriebenes Identifizieren und Rekrutieren, Robo-Matching

Überalterung: Besetzbarkeitsprobleme werden zusätzlich heftiger, da zunehmend viele ältere Mitarbeiter in den Ruhestand gehen

Was wäre für Sie die beste Headline, die Sie Ende 2017 gerne zur Entwicklung in HR lesen würden?

Diese hier:
•    Monster mit Musk: Begeisterung über Suchportal für Marsbesiedlung.
•    Robo-Recruiting gibt Personalern wieder Zeit, sich mehr mit Menschen als mit Verwaltung zu befassen.
•    Internet-Job-Börse schafft mit Robo-Matching ungeliebte Jobs ab.
•    HR-Prozesse lösen in Forschung und Lehre Supply-Chains als Beispiel für Prozessexzellenz ab.
•    Die Arbeit der Zukunft beginnt heute: Flexible On-Demand-Cloud-Work-Konzepte machen Unternehmen und Mitarbeiter gesund, reich und glücklich.
•    Diversity auch in HR: Ingenieure in der HR-Abteilung.

Was ist Ihre provokante Empfehlung für smarte Recruiter in maximal drei Sätzen?

Alle werben mit Werten und flexibler Arbeit. Seien Sie ehrlich oder leben Sie es wirklich!
Oder: Ohne Prozessmanagement und Kennzahlen gibt’s auch im Recruiting keinen Erfolg

Zur Person

Prof. Dr. Tim Weitzel ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen, an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind E-HRM, IT-Management, Outsourcing und Business IT Alignment. Prof. Dr. Weitzel ist Autor von 10 Fachbüchern sowie einer Vielzahl international zitierter wissenschaftlicher Fachartikel.

Die Studie Recruiting Trends lässt sich ab 16. März 2017 unter diesem Link kostenlos herunterladen.