Fragen an Professor Weitzel: Digitalisierung versus Human first – oder braucht es beide Bereiche?

Welche Möglichkeiten eröffnet die Digitalisierung in der Personalbeschaffung? Steuern bald nur noch kalte Maschinen die Prozesse oder wird es eine Balance zwischen Menschlichem und Digitalen geben? Diesen und anderen Fragen sind die Wissenschaftler der Uni Bamberg für die neueste Ausgabe der Studie Recruiting Trends nachgegangen. Die repräsentative Erhebung entsteht jährlich in Kooperation mit MONSTER. Die genauen Details stellt Studienleiter Professor Tim Weitzel am Donnerstag, 21. März 2019, beim jährlichen MONSTER-Symposium vor. Das Veranstaltungsmotto: Digitalisierung versus Human first. Uns gab Professor Weitzel im Interview schon ein paar spannende Einblicke.

Das Interview führte Sonja Dietz

MONSTER: In der neuesten Ausgabe der Studie Recruiting Trends kommen Sie zu dem Ergebnis: Die Digitalisierung wird die Personalbeschaffung stark beeinflussen – Kandidaten und Unternehmen sehen hierin viele Chancen. Wohin geht die Reise des digitalen Recruitings?

Professor Tim Weitzel: Die Digitalisierung des Recruitingprozesses zeigt sich insbesondere durch die vermehrte Nutzung bzw. das Angebot von Recommender-Systemen, wie Staff-Recommender, die Unternehmen automatisiert geeignete Kandidaten vorschlagen und Job-Recommender, die Kandidaten automatisiert interessante Jobs vorschlagen. Somit werden insbesondere die Suche nach Jobs und die aktive Suche nach Kandidaten stärker durch Informationssysteme unterstützt. Eine Hoffnung ist, dass durch einen zunehmenden automatisierten Abgleich zwischen Job- und Kandidatenanforderungen (Matching) letztlich eine höhere Passgenauigkeit erreicht werden kann.

MONSTER: Durch die Digitalisierung wird sich Arbeit immer stärker verändern. Beispielsweise unterliegen Jobprofile einem konstanten Wandel. Manche fallen sogar ganz weg, während andere neu hinzukommen. Die Personalbeschaffung muss darauf flexibel reagieren. Aber wie? Welche digitalen Hilfsmittel gibt es, die das Recruiting agiler machen?

Professor Tim Weitzel: Richtig, die Ergebnisse der diesjährigen Studie zeigen, dass die größten deutschen Unternehmen davon ausgehen, dass sich mehr als ein Drittel der Jobprofile in den nächsten fünf Jahren durch die Digitalisierung ändern wird. Gleichzeitig wird jedes zehnte Jobprofil in Zukunft erst noch entstehen.

Das Personalwesen kann hierauf mit einem erhöhten Einsatz von Software reagieren. Die Top-1.000-Unternehmen nennen als einen ihrer größten Fehler im Personalwesen den zu geringen Einsatz von IT. So können beispielsweise Recommender-Systeme eingesetzt werden, die eine höhere Passgenauigkeit zwischen Jobanforderungen und Kandidatenfähigkeiten erreichen können. Auch die Maschinenlesbarkeit von Stellenanzeigen wird in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen.


MONSTER SYMPOSIUM 2019
WANN: DONNERSTAG, 21. MÄRZ 2019
BEGINN:  10:00 Uhr
WO: KAP EUROPA
Kongresshaus der Messe Frankfurt
Osloer Str. 5
60327 Frankfurt am Main

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MONSTER: Wird die Digitalisierung das Jobprofil des Recruiters verändern?

Professor Tim Weitzel: Auf jeden Fall. Mehr als die Hälfte der Recruiter rechnet aktuell damit, in Zukunft durch intelligente Maschinen unterstützt zu werden. Dies hat erhebliche Änderungen der Recruiterprofile zur Folge. Der Umgang mit Technik, Apps und Gadgets sowie das datenbasierte Recruiting wird in fünf Jahren deutlich wichtiger sein als heute. Fähigkeiten zur Bewerber(vor)auswahl oder zum Formulieren und Veröffentlichen von Stellenanzeigen werden hingegen in Zukunft unwichtiger, da diese Aufgaben von Recommender-Systemen ausgeführt werden können.

MONSTER: Bleibt bei all der Digitalisierung im Recruiting überhaupt noch Platz für Menschliches? Oder ist das Recruiting der Zukunft eher ein kalter maschinengesteuerter Prozess? Viele HR-Experten befürchten das angesichts Trends wie People Analytics und dergleichen… Was entgegnen Sie darauf?

Professor Tim Weitzel: Das hypothetische Szenario, in dem intelligente Maschinen die meisten Tätigkeiten verrichten und die Menschen nur rein freiwillig arbeiten, gefällt sogar vier von zehn Kandidaten. Aufgaben zu automatisieren ist also an sich nichts Schlechtes, wenn es Menschen lästige Routinearbeiten abnimmt und Zeit für Sinnvolles zurückgibt. Die Digitalisierung soll ja gerade helfen, den Menschen Vorteile zu bringen. Und People Analytics ist nicht dazu da, einen Prozess zu gestalten, der möglichst menschenunfreundlich ist. Es zielt im Gegenteil darauf ab, Transparenz und Kennzahlen zur Verfügung zu stellen, um Menschen besser auf die Jobs zu bringen, die sie wirklich können und bei denen sie erfolgreich und glücklich sein können.

MONSTER: Wie gut sind Unternehmen auf die digitale Zukunft vorbereitet? Sind die Weichen für Recruiting 4.0 gestellt?

Professor Tim Weitzel: Auch wenn Ausmaß und Auswirkungen der digitalen Transformation noch nicht abschließend abzuschätzen sind, kann man sicher sagen, dass die wenigsten sich zurücklehnen können. Die in unseren Studien seit fast 20 Jahren dokumentierte Professionalisierung der Rekrutierung wird und muss voranschreiten. Man muss sich auch klar sein, dass wir jetzt über „Digital First“ Reden, viele aber noch von dem gestern beschworenen „Mobile First“ weit entfernt sind. Recruiting 4.0 wird menschlicher sein, da es besser und schneller funktioniert. Besser heißt, dass Kandidaten und Unternehmen noch besser zueinander finden, und schneller heißt, dass wir vielleicht die erste echte Beschleunigung in Bewerbungsprozesses seit 20 Jahren erleben werden.

MONSTER: Ein Blick in die Zukunft: Wo stehen Arbeitgeber heute, wo in fünf Jahren?

Professor Tim Weitzel: Aktuell versuchen die Firmen, die Aufgaben von gestern und heute zu bewältigen – dazu gehört eine positive Wahrnehmung über die gesamte Candidate Journey – und sich auf morgen bestmöglich vorzubereiten. Das bedeutet, die Fähigkeit aufzubauen, besser zu lernen und sich schneller zu entwickeln. Dies setzt einen mutigeren Umgang mit Kennzahlen und den Aufbau einer besseren Recruiting-Analytics-Fähigkeit voraus. Die Vorreiter stellen sich jetzt schon die Frage, welche Daten sie in fünf Jahren gerne hätten und fangen an, den Datenpool aufzubauen. Wie schon gesagt, werden Nutzung und Angebot von Recommender-Systemen wie auch Experimenten mit Virtual oder Augmented Reality zunehmen und zeigen, dass Unternehmen gerade das Fundament für das digitale Zeitalter errichten, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.

Professor Tim Weitzel…ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen, an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind E-HRM, IT-Management, Outsourcing und Business IT Alignment. Weitzel ist Autor von 10 Fachbüchern sowie einer Vielzahl international zitierter wissenschaftlicher Fachartikel sowie Autor der Studienreihe “Recruiting Trends”.