Interview mit Professor Tim Weitzel: Was HR von Marketing lernen kann

Am Donnerstag, 8. März, stellt Professor Tim Weitzel von der Universität Bamberg beim Monster Symposium 2018 die aktuellen Ergebnisse der gemeinsamen Studie “Recruiting Trends” vor. Das Motto des Tages: HR meets Marketing. Im Interview verriet Professor Weitzel, inwiefern Recruiter von Marketing-Experten lernen können und wo noch Luft nach oben besteht.

Das Interview führte Sonja Dietz

Inwiefern nähern sich HR und Marketing an? 
Recruiting lernt seit langem vom Produkt-Marketing und wird dabei auch immer besser. So haben die Unternehmen die Bedeutung einer Arbeitgebermarke neben der eigenen Produktmarke erkannt und Employer-Branding-Maßnahmen aufgebaut. Ebenso ist unter anderem durch Zielgruppenorientierung und Bewerbermanagementsysteme eine Kultur des Candidate Relationship Managements und der Kunden- bzw. Kandidatenbindung entstanden.

Welchen Einfluss hat dabei die Digitalisierung?
Wie im Marketing ist die Digitalisierung auch bei HR eingezogen und Marketing-Themen wie Content oder Behavioral Targeting sind bei manchen Unternehmen im Tagesgeschäft aufgetaucht. Targeting bezeichnet eine Werbeform, bei der Werbung oder Stellenanzeigen zielpersonenspezifisch platziert werden, zum Beispiel in einem inhaltlich passenden Themenumfeld – also Autowerbung neben einem Artikel über Autos – oder passend zu den aus dem Online-Verhalten des „Kunden“ abgeleiteten Interessen.

In welchen Punkten kann HR laut der Ergebnisse der Recruiting Trends 2018 besonders vom Marketing lernen? 
HR holt auf, hat aber noch viele Chancen für Verbesserungen. Wie schon vor zehn Jahren bei Social Media kann Marketing als Kristallkugel dienen.

Inwiefern?
Beispielsweise geben sich die meisten Unternehmen aktuell keine guten Noten für das eigene Employer Branding. Was würde Marketing tun, um die Situation zu verbessern? Kennzahlen zu Maßnahmen und Wirksamkeit aufbauen und sich so schnell und so systematisch zu verbessern wie eigentlich möglich. HR nutzt im Gegensatz dazu nur sehr wenige Daten, und zu wenige Entscheidungen werden evidenz-basiert getroffen. So erhebt trotz der herausragenden Bedeutung des Employer Branding nicht einmal jedes dritte Unternehmen Kennzahlen zur Erfolgsmessung.

Wo liegen aus Ihrer Perspektive die größten Herausforderungen für ein funktionierendes HR-Marketing?
HR muss schneller, ehrlicher und besser werden. Schneller, da Kandidaten Echtzeit-Dialoge und nicht Wartezeiten erwarten. Deswegen arbeiten viele Unternehmen zum Beispiel an CareerBots, die Standardfragen zu Unternehmen und Jobs automatisiert in einem Chat beantworten können. Unsere Studien zeigen auch, dass die Zeit zwischen Bewerbungsabgabe und Unternehmensantwort seit 20 Jahren unverändert ist. Dies ist Kandidaten im Digitalzeitalter zunehmend schwerer zu vermitteln. Wir haben uns alle daran gewöhnt, dass alles immer schneller und mit wenigen Klicks geht. Warum nicht auch im Recruiting?

Das ist aber noch nicht alles, oder?
Nein, das ist noch nicht alles. Arbeitgeber müssen auch ehrlicher werden. Viele Unternehmen geben ähnliche Employer-Branding-Versprechen, können sie aber nicht halten. Damit vergeben sie sich wichtige Chancen. Über 80 Prozent der Mitarbeiter schauen sich rasch nach anderen Jobs um, wenn Arbeitgeber ihre Versprechen nicht einhalten.

Und Ihre Studie sagt auch, dass etwa 70 Prozent der Kandidaten sich gar nicht erst bewerben, wenn die Unternehmen ihre Employer-Branding-Versprechen nicht einhalten können…
Richtig! Die Herausforderung ist also, einerseits ehrlicher zu kommunizieren und andererseits, die gerne versprochenen „Arbeitsplätze der Zukunft“ mit Home Office und Jobsharing auch wirklich aufzubauen.

Und: Unternehmen müssen besser werden, um geeignete Kandidaten besser als die Konkurrenz identifizieren und ansprechen zu können. Denn die Besetzbarkeitsprobleme bleiben, und die Konkurrenz wird besser. Mitunter erfordert das die Bereitschaft, alte HR-Prozesse radikal zu überdenken.

Gibt es in dieser Hinsicht unerwartete Trends im HR-Marketing?
Nach Jahren, in denen Algorithmen und Automatisierung eher skeptisch gesehen und für „unmenschlich“ gehalten wurden, hat sich die Meinung zu Robo-Recruiting bei Unternehmen wie Kandidaten verändert.

Recruiter wollen gerne zum Beispiel durch Chat-Bots von Routineaufgaben entlastet werden, um wieder mehr Zeit für strategische Aufgaben zurückzubekommen. Die Mehrheit der Recruiter rechnet daher auch damit, dass wir immer mehr ChatBots sehen werden. Die Kandidaten wollen Bots und Algorithmen, um schneller Antworten zu bekommen. Beide Seiten sehen auch eine Chance in einer möglicherweise diskriminierungsärmeren Kandidatenauswahl.

Gibt es auch kuriose Trends im HR-Marketing?
Diesen: „Es ist gut, schlecht über sich zu reden.“ Unsere Studie zeigt, dass „ideale Arbeitgeber“ in ihren Employer-Branding-Aussagen auch Negatives über sich berichten und damit authentischer wirken. Kandidaten sind heute viel besser informiert über Unternehmen als je zuvor, und entsprechend sind reine Hochglanz-Prospektversprechen weniger glaubwürdig. Wirklich kurios ist aber, dass von all den Unternehmen, die dies wissen, nicht einmal jedes fünfte auch wirklich einmal etwas Nicht-Positives kommuniziert.

Wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Welcher HR-Marketing-Trend dürfte sich am ehesten manifestieren?
Performance Marketing, Analytics und Digitalisierung. Wenn man die Pläne und Prognosen der Unternehmen ernst nimmt, werden wir in den nächsten drei Jahren eine Flut von Career-Bots und ähnlichen Dialogsystemen sehen, die den Kandidaten best- und schnellstmögliche Interaktion erlauben.

Professor Tim Weitzel…
…ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen, an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind E-HRM, IT-Management, Outsourcing und Business IT Alignment. Professor Weitzel ist Autor von zehn Fachbüchern sowie einer Vielzahl international zitierter wissenschaftlicher Fachartikel.