Das Thema Zukunft der Arbeit ist aktuell in aller Munde. Auch wir wollten wissen, wie es auf dem Arbeitsmarkt weitergeht und haben bei Experten nachgefragt. Zukunftsforscher Oliver Leisse und Tim Weitzel, Professor für Wirtschaftsinformatik, standen Rede und Antwort.
Von Sonja Dietz
Work-Life-Integration, mehr Home Office, Transparenz, Motivation durch Lust an der Arbeit, Kommunikation auf Augenhöhe: Das und mehr erwarten die 20- bis 35-Jährigen heute von Arbeitgebern. Ist die Generation Y zu anspruchsvoll?
Leisse: Erfreulicherweise! Denn die Bedingungen für erfolgreiche Unternehmen ändern sich auf ganzer Linie. Wir sehen, wie viele der etablierten Dickschiffe langsam vom Idealkurs abdriften, weil sie den Kurs nicht korrigieren. Wir müssen der Generation Y dankbar sein, dass sie uns hilft, viele eingefahrene Rituale und Methoden der Vergangenheit in Frage zu stellen. “Schnelles Feedback auf Augenhöhe” – das bedeutet nicht nur mehr Arbeit durch mehr Dialog, sondern auch schnelleres Sprinten von Ziel zu Ziel.
Weitzel: Wir alle – nicht nur die GenY – suchen neue Wege, Arbeit und Leben besser zu verbinden. Zusammen mit deutlich zugunsten der Kandidaten geänderten Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt – zumindest für viele hochqualifizierte Profile – führt das zu einem erhöhten Änderungsdruck auch bei den Unternehmen. Nicht die Generation Y ist zu anspruchsvoll, die ganze Gesellschaft ist modern geworden.
Müssen Arbeitgeber umdenken und eine sinnvollere Mischung aus Arbeit und Freizeit anbieten? Die moderne Technik macht eine Flexibilisierung der Arbeitswelt möglich. Was hindert Unternehmen daran, dies umzusetzen?
Leisse: Ich denke, es ist so wie im richtigen Leben: Mehr Freiheit macht mehr Spaß. Missbrauch von Freiheit kann es geben, aber mal ehrlich, viel schlechter als aktuell kann es auch nicht laufen. Laut des Engagement Index für 2014 von Gallup haben nur 15 Prozent der Mitarbeiter haben eine hohe emotionale Bindung. Der überwiegende Teil ist unzufrieden. Da muss etwas geschehen. Das Mittel der Wahl ist sicher nicht mehr Kontrolle, sondern mehr Flexibilität und Freiheit.
Weitzel: Work-Life-Balance ist in diesem Zusammenhang ein problematisches Wort, da „Balance“ danach klingt, als wäre mehr des einen automatisch weniger des anderen. Es geht eher darum, technische und organisatorische Möglichkeiten zu schaffen, beides besser – und weniger konfligierend – zu gestalten. Das ist ein gutes Ziel, das seine Grenze nur in der räumlichen und zeitlichen Verteilbarkeit von Aufgaben hat.
Auch ortsunabhängiges Arbeiten steht auf der Wunschliste der Arbeitnehmer. Das mag ja in kleinen Berliner Start-ups funktionieren, aber ist das auch die Zukunft für den guten deutschen Mittelständler oder Konzerne?
Leisse: Ja, warum nicht. Fest ritualisierte Treffen, bei denen man sich um das Feuer versammelt und die Strategie bespricht und aus Erfolgen und Niederlagen lernt und Jagdausflüge, bei denen der Jäger frei agieren kann – das hat schon früher geklappt. Hätten die Jäger Hausarrest gehabt, wären die Stämme ausgestorben und es würde uns nicht geben.
Weitzel: Wie gut verschiedene Arbeitsmodi funktionieren wäre noch zu ermitteln. Klar ist, dass jede dritte offene Stelle nicht oder nur schwer besetzbar ist, so dass die Unternehmen eher auf derartige Wünsche eingehen müssen. Ein spannender Trade-Off könnte sein, ob ich lieber weniger qualifizierte Kandidaten traditionell beschäftige, oder hochqualifizierte, aber mit Abstrichen in der Produktivität oder zusätzlichen Anstrengung, die neuen Herausforderungen zu adressieren.
Viele Unternehmen hinken den Ansprüchen der jungen Bewerbergeneration weit hinterher. Oft liegt das an langen und viel zu komplizierten Entscheidungsprozessen. Wie können Unternehmen mehr Agilität in ihre Strukturen bringen?
Leisse: Die interne Kommunikation muss verbessert werden und genau hier ist meines Erachtens der Hund begraben. Dabei gibt es neue und wirklich hilfreiche Intranet Tools, die schnell etabliert werden können und eine schnelle, transparente Kommunikation in der Breite der Organisation und bist hin zur Tiefe der Information liefert.
Weitzel: Vorreiter in der Rekrutierung haben schon lange intern ihre Prozesse standardisiert, optimiert und mit Workflow-Systemen unterstützt, um extern schneller und besser Kandidaten erreichen zu können. Und ein besseres Alignement zwischen einerseits HR- und Fachabteilungen und andererseits Unternehmens- und Personalplanung könnte, auch wenn dies sehr herausfordernd ist, Planbarkeit und zumindest Reaktionskraft verbessern.
Stichwort: Dezentralisierung. Junge Leute wünschen sich ortsunabhängiges Arbeiten. Weg vom Präsenzarbeitsplatz hin zum virtuellen Team – wäre das ein gangbarer Weg? Oder irgendwas dazwischen?
Leisse: Irgendetwas dazwischen. Vor allem muss uns klar sein: Lösungen fallen nicht vom Himmel, wir müssen testen und experimentieren. Noch haben wir ein ganz kleines bisschen Zeit, noch haben wir Spielräume. Die können aber auch ganz schnell verschwinden.
Weitzel: Wir reden noch zu viel über wollen und verstehen; zu wenig von können. Ich erwarte große Fortschritte von wissenschaftlichen Analysen der zeitlichen und örtlichen Dezentralisierbarkeit der Arbeit: Welche Aufgaben lassen sich wie gut zeitlich und örtlich verteilen? Diese virtualisiere ich dann weitmöglich, aber eher auch nur diese. Vergessen wir aber nicht, dass auch viele Mitarbeiter jeden Alters hier Grenzen sehen und im Home Office soziale Isolation, sinkende Produktivität und Unterstützung fürchten.