Candidate Experience ist DAS Modewort in der HR-Welt. Der Tenor: Je zufriedener der Kandidat mit dem Rekrutierungspozess, umso größer die Chance auf einen Rekrutierungs-Erfolg. Doch eines gerät dabei außer Acht: Eine schlechte "Erfahrungswertschöpfungskette" von Kandidaten zeugt nicht zwingend von der Unfähigkeit eines Personalers, sondern fußt häufig auf einer mangelhaften Recruiting-Ausstattung. Also sprechen wir doch zur Abwechslung mal über die Recruiter Experience.
Von Sonja Dietz
In Zeiten des Fachkräftemangels und demographischen Wandels stöhnen viele Branchen unter dem Nachwuchsmangel auf und suchen händeringend nach Personal. Das sorgt für Druck in den Personalabteilungen. Besonders betroffen ist die IT-Branche. Hier gehen Deutschlands Top-1000-Unternehmen davon aus, dass 38,7 Prozent der offenen Vakanzen nur schwer und 6,1 Prozent gar nicht zu besetzen sind. So das Ergebnis der Studie Recruiting Trends.
Candidate Experience geht nicht ohne Recruiter Experience
Umso wichtiger, dass die Candidate Experience stimmt. Denn je leer gefegter der Arbeitsmarkt, umso mehr muss das Klima zwischen Kandidaten und Arbeitgeber stimmen. Denn Kandidaten suchen sich heutzutage ihre Arbeitgeber aus, nicht mehr umgekehrt. Doch es hapert vielerorts an einer guten Candidate Experience – das ist hinlänglich bekannt. Unter dem Stichwort Candidate Experience subsumieren sich alle Erfahrungen, die ein Kandidat im Rekrutierungsprozess macht.
Und die sind allgemeinhin nicht besonders gut, kritisiert zum Beispiel Wolfgang Brickwedde: "Ein erster Schritt wäre es, wenn Personaler sich nur einmal spaßeshalber bei sich selber bewerben würden! Sie würden erkennen, dass ihre Jobs bei Google nicht zu finden sind, dass auf ihrer Unternehmens-Homepage der Karrierebereich nicht, oder nur schwer zu finden ist, dass die ausgeschriebenen Stellenanzeigen nicht gerade die spannendsten sind, und dass das Bewerbungsformular viel zu lang ist und dann auch noch zweimal aus technischen Gründen abbricht. Dann bekommt das Thema Candidate Experience ganz schnell eine höhere Bedeutung", sagte der Director des Instituts for Competetive Recruiting (ICR) jüngst gegenüber dem HR-Magazin.
Studie: Reaktionszeiten im Recruiting dauern immer länger
Jüngst befeuerte eine Studie des Arbeitgeberbewertungsportals Glassdoor die Debatte noch mehr. Die Erhebung brachte ans Licht, dass die Reaktionszeiten nach Eingang einer Bewerbung grundsätzlich zu lange dauern. Mehr noch haben sie sich seit 2010 sogar deutlich erhöht. So dauerte der Bewerbungsprozess in Deutschland 2014 im Schnitt 28,8 Tage und somit drei Tage länger als noch vier Jahre zuvor.
Die sich hieraus ergebenden Vorwürfe gegenüber HR, zu langsam bei der Personalgewinnung und –auswahl zu sein, reihten sich nahtlos ein in die vorherrschende Kritik in punkto Candidate Experience. Das Bild vom verstaubten und rückständigen, nicht-kundenorientierten HR-Manager schien sich ein weiteres Mal zu bestätigen.
Doch ist dem wirklich so? Das fragt sich inzwischen eine Fraktion, die zunehmend ins Zweifeln gerät, ob die grundlegende Voraussetzung für eine gute Candidate Experience nicht die einer guten Recruiter Experience ist. Sprich: Nur dann, wenn der Recruiter auch über Tools verfügt, die ihn in seiner Arbeit unterstützen, kann er seinen Job auch wirklich gut machen. Und dieser optimalen Rekrutierungserfahrung folgt in aller Regel auch eine optimale Kandidatenerfahrung. Warum? Ganz einfach: Weil die Technik dem Recruiter viele Aufgaben abnimmt und diesem dann mehr Zeit bleibt, sich intensiv um die Ressource Mensch zu kümmern. Doch allzu oft entspricht all das nicht der Realität in den Unternehmen.
Recruiting Experience: Unternehmen scheuen Investitionen
Experte Wolfgang Brickwedde deutete es eingangs bereits an. Die Probleme sind breit gefächert. Das fängt schon damit an, dass Stellenanzeigen oft nicht suchmaschinenoptimiert sind. Wie sollen sie dann gefunden werden? Oder sie entsprechen nicht den modernen Standards des Employer Brandings. Oft ist auch das Bewerbermanagement nicht optimal auf die Prozesse im Unternehmen zugeschnitten und überdies fragt das Bewerbungsformular nicht alle oder zu wenige Qualifikationen der Bewerber ab. Die Liste der gängigen Recruiting-Fauxpas' führt jedoch die nicht-responsive Gestaltung des Karrierebereichs auf der Unternehmenswebseite an, wohingegen der Rest des Unternehmensauftritts natürlich für Mobilgeräte optimiert ist. "Was soll das?", fragt sich der moderne Bewerber da nicht ganz zu Unrecht.
Schließlich gibt es aus technologischer Sicht inzwischen diverse Hilfsmittel, die die Probleme vielleicht nicht ganz, doch aber zum großen Teil lösen können. Modulare Bewerber Management Systeme etwa, die exakt auf die Bedürfnisse eines Unternehmens anpassbar sind und ganz einfach an die Unternehmenshomepage "angedockt" werden können. Ebenso wie spezielle Add Ons für eine optimale Karriere Homepage – responsiv und anpassbar auf das Corporate Design. Darüber hinaus gibt es Talentsuchmaschinen, die das Active Sourcing erleichtern. Sie grasen das Web und seine speziellen Communities nach Kandidaten mit Spezialkenntnissen ab. Hinzu kommen Tools zum verbesserten Recruiting via Social Media und, und, und.
Doch allzu oft scheitert die Einbindung und Anwendung der neuen Technologien nicht an den Recruitern selbst, sondern an der Geschäftsführung, die die entsprechenden Investitionen scheut. Im Gegenteil wären viele Recruiter sogar erleichtert, von den neuen Technologien zu profitieren. Doch in der Regel müssen diese mit überholten Methoden in schnelllebigen Märkten um Kandidaten ringen. Ade Recruiter Experience, ade Candidate Experience, ade Hiring Success. Ein Teufelskreis.
Recruiting Experience: Lasst das Recruiter-Bashing
Auch auf dem Blog metaHR zeigt man sich aus ähnlichen Gründen verständnisvoll: "Bei aller Berechtigung zur Kritik an HR finde ich trotzdem, dass dieser Spin, der häufig aus HR-Blog / Medien kommt, gerade jenen Personalern Unrecht tut, die versuchen besser zu werden und sich mit bekannten Problemen aktiv auseinandersetzen", heißt es hier. "Diese HR-Bashing-Attitüde, welche, wenn auch sicher oft nicht so gemeint, doch in so manchen Artikeln spürbar mitschwingt, ist letztlich kontraproduktiv."
Und weiter: "Unter Druck und Vorwürfen ausgesetzt neigen Menschen nämlich in der Regel nicht dazu innovativ und mutig zu sein. Da kann noch so viel "Frechmut" von Personalern verlangt werden. Die Mehrheit wird sich dann leider eher defensiv verhalten und das ist nach meiner Wahrnehmung eben genau das was viele HR-Kritiker eben nicht wollen."
Kurzum: Die Probleme, mit denen HR aktuell kämpft, dürfen nicht klein geredet werden. Doch nur zu kritisieren, greift zu kurz. Es müssen die innovativen Lösungen eingesetzt werden, die es längst am Markt gibt. Auch ein stärkeres Maß an Kommunikation innerhalb der Unternehmen wäre erfolgversprechend. Eine stärkere Zusammenarbeit mit IT, Marketing, der Unternehmenskommunikation, den Fachabteilungen und der Unternehmensspitze sind Voraussetzungen für einen Recruiting-Erfolg.
Denn nur wenn beispielsweise die Inhalte stimmig sind, kann eine Stellenbeschreibung passgenau auf eine Zielgruppe zugeschnitten werden. Hierfür ist die Kommunikation mit der Fachabteilung das A und O. Doch allzu oft findet diese nur zwischen Tür und Angel statt, wenn überhaupt. Also: Alle ab an den runden Tisch – dann klappt's auch mit der Recruiter Experience. Die Lösungen liegen auf der Hand, man muss sie nur noch einbinden.