Interview mit Raul Krauthausen: Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt integrieren
Das Thema „Diversity in der Arbeitswelt“ prägt zunehmend die öffentliche Debatte. Meist geht es dabei um die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Integration verschiedener Kulturen und Ethnien. Was allerdings häufig unter den Tisch fällt: Die Inklusion behinderter Menschen. Das soll und muss sich ändern. Wir haben dazu mit Aktivist Raul Krauthausen gesprochen, der selbst im Rollstuhl sitzt und seit Jahren für eine behindertengerechte Gesellschaft kämpft. Der 40-Jährige hat den gemeinnützigen Verein SOZIALHELD*INNEN mitgegründet – eine Denkfabrik für soziale Projekte.
Das Interview führte Sonja Dietz
Warum gibt es in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt nach wie vor so große Berührungsängste gegenüber behinderten Menschen?
Ich kann mir vorstellen, dass das mehre Gründe hat. Viele verbinden das Thema Behinderung mit Leid. Sie gehen davon aus, dass die Person, die eine Behinderung hat, eine schwere Bürde trägt. Vielleicht steckt dahinter auch die Angst vor der eigenen Verwundbarkeit und vor der Möglichkeit, selbst einmal behindert zu sein. Daher wird die Begegnung mit behinderten Menschen bewusst oder unbewusst vermieden.
Was würdest du Arbeitgebern raten, um bestehende Berührungsängste abzubauen?
Wenn ich als Arbeitgeber wirklich Berührungsängste bei diesem Thema habe, muss ich im ersten Schritt ehrlich zu mir selbst sein und mir diese eingestehen. Auf keinen Fall sollten irgendwelche Gründe vorgeschoben werden, warum es zu kompliziert ist, Menschen mit Behinderung einzustellen. Nach dem Motto: „Wir haben keine rollstuhlgerechte Toilette.“ Das ist oft nicht das eigentliche Problem, weil es für viele anfallende Kosten staatliche Zuschüsse gibt. In Wirklichkeit geht es viel häufiger darum, sich selbst nicht vorstellen zu können, mit behinderten Personen zusammenzuarbeiten.
Was kann helfen, bestehende Bedenken aufzulösen?
Am besten immer die reale Begegnung. Wenn ich als Personaler bewusst jemanden mit Behinderung zum Bewerbungsgespräch einlade, stelle ich mich der Situation und lerne viel mehr als beispielsweise in jeder Broschüre zum Thema Inklusion. Diese Offenheit ist der erste Schritt zu einer echten Veränderung in der Arbeitswelt. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass wir diese erstmal erzwingen müssen. Zum Beispiel über eine Quotenregelung für behinderte Arbeitnehmer – ähnlich der Frauenquote.
Gibt es Unternehmen, an denen sich andere Arbeitgeber beim Thema Inklusion behinderter Menschen orientieren können?
Man kann schon sagen, dass große Konzerne ganz gut aufgestellt sind, was die Erfüllung der Behindertenquoten angeht. Arbeitgeber mit mindestens 20 Mitarbeitern sind ja gesetzlich verpflichtet, auf mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Ansonsten werden Ausgleichabgaben fällig. Diese müssen Big Player seltener entrichten als kleine Unternehmen, weil sie die Quote erfüllen.
Klingt erstmal gut.
Ja, aber nur auf den ersten Blick. Wenn man in den großen Unternehmen genauer hinschaut, stellt man fest, dass in DAX-Konzernen vielleicht mehr Menschen mit Behinderung arbeiten, dass sie aber eher leichtere Aufgaben verrichten – in der Kantine, als Pförtner oder Pförtnerin zum Beispiel. Deutlich seltener sind Menschen mit Behinderung in Positionen mit leitender Funktion zu finden. Das könnte und sollte man dringend hinterfragen: Wie barrierefrei sind die Karrierechancen in einem Unternehmen?
Wovon würdest Du im Umgang mit einem neuen Kollegen, der eine Behinderung hat, abraten?
Zu glauben, dass man von Anfang alles richtig machen muss. Viele Unternehmen wollen ihre Kollegen vorab im Umgang mit Menschen mit einer Behinderung schulen, damit bloß keiner in einen Fettnapf tritt. Davon halte ich nicht viel. Genau diese Bemühungen, alle vorab nochmal schnell zu sensibilisieren, bevor eine behinderte Person ihre Stelle antritt, macht diesem zum Außenseiter. Behinderte Menschen können in der Regel sehr gut kommunizieren, was sie brauchen, was sie stört und was sie sich wünschen. Ich glaube, es ist die natürliche Begegnung, die uns alle schlauer werden lässt und an der wir gemeinsam wachsen.
Wie lassen sich bestehende Unsicherheiten im Arbeitsalltag gezielt ausräumen?
Am ehesten führt zum Ziel, die eigene Unsicherheit zu kommunizieren und offen damit umzugehen. Zum Beispiel, indem Du sagst: „Ich habe noch nie zuvor jemandem ohne Arme die Hand geschüttelt – wie mache ich das jetzt?“ Er wird Dir dann schon die Schulter hinstrecken oder eben seinen Fuß. Es ist eigentlich so einfach: Auf den anderen zugehen und für seine Bedürfnisse offen sein. Das sollten wir uns nicht schwerer machen als es ist. Und dann ist es natürlich auch so, dass Menschen mit Behinderung gelernt haben, mit der Unsicherheit anderer umzugehen. Meist lassen sie ganz beiläufig ins Gespräch einfließen, was ihnen fehlt oder wie sie bestimmte Dinge haben wollen. Das ist ihre Art, das Eis zu brechen.
Für inklusionswillige Arbeitgeber ist es bisweilen schwierig, behinderten Menschen in Stellenanzeigen zu vermitteln, dass diese im Unternehmen wirklich willkommen sind. Häufig bleiben Bewerbungen aus. Was würdest Du raten?
Es reicht nicht, in einer Stellenanzeige den Standardspruch zu bemühen, dass behinderte Menschen bei gleicher Eignung bevorzugt behandelt werden, und ansonsten im Recruiting alles beim Alten zu lassen. Ich würde in einer Stellenanzeige zum Beispiel ergänzend formulieren, dass man bereit ist, Anpassungen am Arbeitsplatz oder am Jobprofil vorzunehmen, wenn der Bewerber eine Behinderung hat, die das erfordert.
Worauf kommt außerdem an?
Außerdem sollten Unternehmen unbedingt darauf achten, dass der Bewerbungsprozess barrierefrei ist und nicht von vornherein bestimmte Bewerbergruppen ausschließt. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Jobanzeige für Screenreader lesbar ist, über die sich zum Beispiel sehbehinderte Bewerber die Inhalte vorlesen lassen können. Auch sollten Personalsuchende im Einstellungsprozess nicht immer streng an formalen Abläufen festhalten und statt einer Bewerbung über ein Bewerbungsformular auch alternativen Bewerbungsformaten eine Chance geben, wenn es die Situation erfordert – einer Bewerbung per Sprachnachricht etwa. Wir alle müssen da etwas kreativer werden. Das bringt den Stein ins Rollen.
Raul Krauthausen… … ist Inklusions-Aktivist und Gründer der SOZIALHELDEN, studierter Kommunikationswirt und Design Thinker. Seit über 15 Jahren arbeitet er in der Internet- und Medienwelt. Seit 2011 ist er Ashoka Fellow und engagiert sich bei den SOZIALHELDEN. Neben dem klassischen Projektmanagement und strategischen Aufgaben, die er inne hat, vertritt er die SOZIALHELDEN-Projekte und deren Vision nach Außen. 2013 wurde Raul Krauthausen mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet und im Januar 2014 veröffentlichte er seine Biographie „Dachdecker wollte ich eh nicht werden – Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“. Seit 2015 moderiert er mit „KRAUTHAUSEN – face to face“ seine eigene Talksendung zu den Themen Kultur und Inklusion auf Sport1.
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