New Work und das fehlende Komma

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Der Trend geht zum Beispiel hin zum dezentralen und flexiblen Arbeiten. Nicht die einzigen Veränderungen, für die Arbeitgeber langfristig die Weichen stellen müssen. Das Stichwort New Work steht beispielhaft für die Arbeitswelt der Zukunft. Was dahinter steckt. Wir haben bei Experte Bastian Wilkat nachgefragt.

Das Interview führte Sonja Dietz

Herr Wilkat, können Sie den New Work Gedanken kurz skizzieren?
Immer mehr Menschen und Unternehmen begreifen, dass Konzepte wie Economies of Scale, Standardisierung und Spezialisierung heute nicht mehr wettbewerbsentscheidend sind. Oft begreifen sie aber nicht, dass sie sich mit der Suche nach einem neuen Konzept oder einer Best Practice genauso auf dem Holzweg befinden. Deswegen bringe ich auch kein neues Konzept mit, sondern ein paar ganz konkrete Anregungen, was heute wettbewerbsentscheidend ist und wie Unternehmen das umsetzen können. Meine These: New Work ist die Kunst des Weglassens. Weglassen von allen Hürden, die Höchstleistung verhindern.

Welche Rolle hat HR dabei?
Als Student musste ich begründen, warum Unternehmen eine HR-Abteilung brauchen. Ich habe alles aufgeschrieben, was mein Prüfer wissen wollte. Doch insgeheim habe ich HR immer hinterfragt: Die Tätigkeiten, die HR macht, sind ja schon sinnvoll. Aber muss es eine Abteilung sein? Kann HR nicht als Kompetenz der Fachabteilungen gesehen werden und administratives wird komplett ausgelagert?
Ich glaube, dass HR für die Mitarbeiter auf dem Weg zu mehr Selbstverantwortung  – etwa in der eigenen Weiterbildung – eine wichtige Rolle spielen wird. Nennen Sie es gerne Moderation oder Coaching.

Wie sieht der Status Quo in Unternehmen aus?
Machen Sie in Ihrem Unternehmen einfach mal den „Komma-Test“. Stellen Sie einen ganz groben Entwurf für eine Recruiting-Kampagne oder ein Team-Building Event Ihren Kollegen oder Vorgesetzten vor. Ihr Entwurf sollte so roh sein, so dass vermutlich noch Komma- und Formatierungsfehler enthalten sind. Wenn als Antwort kommt: „Das ist ja voller Fehler, das habe ich mir gar nicht angesehen“, haben Sie vermutlich viel Arbeit vor sich.

Wie könnte das New Work Konzept umgesetzt werden? Können Sie Beispiele nennen?
Indem Sie sich – gerne auch mit den Mitarbeitern und anderen Bereichen – einfach die Frage stellen: Was hindert uns an Höchstleistung? Schmerzpunkte kann man einfacher benennen als zu beantworten, was man für Höchstleistung braucht.

Ein alltägliches Beispiel: Einige Mitarbeiter wären vom Home-Office aus produktiver, aber der Zugriff auf das Firmennetzwerk funktioniert nicht. Ein Höchstleistungsverhinderer.Ein anderes Beispiel: Transparenz per default. Die Firma Buffer macht beispielsweise 100 Prozent transparent, wie Gehälter zustande kommen und wer welche Gehälter erhält. So gibt es keine Gerüchteküche, es macht etwaige Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern für alle sichtbar und es kommt verhandlungsschwächeren Personen zu Gute.

Welche Bereiche sollten außerdem einbezogen werden und wie?
Das ist immer zielabhängig. Wenn Sie ein gutes Gespür für interne Unternehmenspolitik haben, dann klärt sich das fast von alleine. Ich sehe oft Veränderungskoalitionen aus HR, interner Kommunikation, IT und Betriebsrat. Doch wie gesagt: Das ist zielabhängig. Wenn Sie als HR den Auftrag bekommen, die „Agile Company 2025“ zu denken, ist es was anderes, als wenn Sie erstmal Experimente durchführen wollen. Generell sollten Sie zielgruppenspezifische Argumente  sammeln. Wenn Ihr Management Sie mit Ihren Bemühungen Richtung New Work ernst nehmen soll, testen Sie die Ansätze in HR selber und zeigen Sie, wie sich das auszahlt: Weniger Überstunden, kürzere Durchlaufzeiten von Bewerbungen usw.

Kann man da noch größer denken?
Bei einer größeren Initiative sollten Sie sich auch vor größerem Einbezug nicht scheuen. Entwickeln Sie mit 500 Mitarbeitern an zwei Tagen die Zukunft der Arbeit in Ihrem Unternehmen. Beliebte Methoden dafür sind: Hackathons, OpenSpaces und Design Thinking Sessions. Diese Methoden helfen Ihnen dabei vom reinen Denken ins Machen zu kommen. Am Ende solcher Tage stehen viele Initiativen, die nicht nur Sie, sondern auch Mitarbeitergruppen aus der Produktion oder Auftragsannahme umsetzen können. Ihre Aufgabe ist dann „nur“ noch das Orchestrieren der Initiativen.
Ich könnte hier endlos weitermachen, weil es endlose Ansätze gibt. Und damit komme ich zurück auf den Anfang: Die Zeit von Best Practices und Fertigkonzepten ist vorbei. Jetzt ist Best Thinking gefragt. Und nicht das Best Thinking von Beratern oder Vordenkern, sondern von Ihnen.