Faking im Vorstellungsgespräch

Bewerber versuchen, sich in Interviews möglichst gut zu verkaufen, um ihre Einstellungschancen zu erhöhen. Diese Form der Selbstpräsentation bezeichnen Experten als „Faking“– also „Schwindeln“. Clemens Fell und Cornelius König von der Universität des Saarlandes untersuchen dieses Phänomen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ein Interview. 

Das Interview führte Sonja Dietz

Was genau ist Faking?
Clemens Fell: Positive Attribute – zum Beispiel Gründlichkeit – werden übertrieben, eher negative Merkmale heruntergespielt. Einige Fähigkeiten werden vielleicht nicht nur übertrieben, sondern auch erfunden. Oder es wird vorgegeben, interessierter zu sein, als man es eigentlich ist.

Mehr als ein bloßes Kavaliersdelikt?
Cornelius König: Es sind Verhaltensweisen vorstellbar, die man als Lügen bezeichnen muss: Wenn etwa Fähigkeiten erfunden werden, die nicht vorhanden sind. Unsere Forschung zeigt, dass das vorkommt, doch spielt es eine untergeordnete Rolle. Meistens geht es darum, dass Dinge, die vorhanden sind, übertrieben oder abgeschwächt werden. Außerdem ist es grundsätzlich problematisch, Faking mit Lügen gleichzustellen. Das würde bedeuten, dass Faking stets moralisch verwerflich ist. Das wird der Situation nicht gerecht. Faking ist zuerst  funktional und als Teil des Spiels “Bewerbung” anzusehen. Sowohl für Bewerber als auch Personaler ist eine Personalauswahlsituation eine Art Verkaufsgespräch: Beide Seiten versuchen sich so gut wie möglich zu verkaufen.

Wie häufig kommt „Faking“ vor?
Clemens Fell: 50 Prozent der Befragten geben an, dass sie bei ihrer letzten Bewerbung ihre negativen Merkmale abgeschwächt haben. 40 Prozent geben sich interessierter und angenehmer als sie es tatsächlich sind. Und jeder sechste gibt an, falsche Meinungen wiedergeben zu haben.  Aber noch andere Faktoren haben Einfluss darauf, ob man Faking praktiziert oder nicht: Eigenschaften des Bewerbers selbst  – zum Beispiel das Alter – oder gar des Landes wie etwa kulturelle Werte. Die Frage nach der Häufigkeit ist nicht pauschal zu beantworten.

Verstehe. Fallen Personaler wirklich darauf herein?
Clemens Fell: „Hereinfallen“ ist kein guter Ausdruck, weil es nicht Ziel des Bewerbers ist, den Personaler zu täuschen. Studien haben gezeigt, dass Personaler gegenüber Faking ähnliche Einstellungen haben wie Bewerber. Auch sie sehen es als Teil des Deals an. Was aber durchaus stimmt ist, dass es bisher keine Möglichkeit zu geben scheint, Faking unter Bewerbern zuverlässig aufzudecken oder dagegen vorzugehen. In Ausnahmefällen – etwa bei gefälschten Zeugnissen – mag das anders sein, aber das sind Einzelfälle.

fragen im vorstellungsgespräch, lügen im vorstellungsgespräch, faking, bewerbungsgesprächCornelius J. König ist seit 2010 Professor für Arbeits- und Organisationpsychologie an der Universität des Saarlandes. Nach seiner Promotion an der Philipps-Universität in Marburg arbeitete er zunächst am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Zürich. Sein Studium absolvierte er an der Philipps-Universität Marburg und der University of New South Wales (Sydney, Australien). Zu Königs Forschungsschwerpunkten zählen Personalauswahl, Arbeitsplatzunsicherheit und Zeitmanagement.

 

fragen im vorstellungsgespräch, lügen im vorstellungsgespräch, faking, bewerbungsgesprächDiplom-Psychologe Clemens B. Fell ist seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Besondere Forschungsinteressen: Personalauswahl, Bewerber-Faking, Cross-Cultural Psychology.


Wenn Faking so weit verbreitet ist – sollte dann nicht im Umkehrschluss das Vorstellungsgespräch als alleiniges Instrument der Personalauswahl überdacht werden?
Cornelius König: Das Vorstellungsgespräch ist nicht die einzige Gelegenheit, bei der Bewerber faken. Immer dann, wenn es nicht um Leistungstests geht, ist Faking möglich. Was überdacht werden sollte, ist die Nutzung von Ad-Hoc-Vorstellungsgesprächen als alleiniges Auswahlinstrument wie es in der Praxis noch überraschend oft vorkommt. Es gibt im Rahmen der professionellen und psychologisch fundierten Personalauswahl Instrumentarien, die Faking schwer machen.  Leistungstests beispielsweise. Außerdem hängt Vieles von der Fragetechnik ab. Personaler, die Bewerber fragen, ob sie wirklich am ausgeschriebenen Job interessiert seien, müssen sich selbst fragen, welcher Bewerber hierauf ernsthaft mit “Nein” antwortet.

Stichwort: Fachkräftemangel. In manchen Branchen ist der Mangel an Bewerbern so massiv, dass Personaler wahrscheinlich gar keine andere Wahl haben als einen „Faker“ einzustellen, selbst wenn sie ihn enttarnt haben. Oder anders herum gefragt: Erledigt sich das Problem des „Fakens“ durch den War for Talents nicht von selbst?
Cornelius König: Organisationen scheinen vor dem Hintergrund dessen, was manche den „War of Talents“ nennen, dazu überzugehen, den Bewerberpool zu erweitern. Immer mehr Unternehmen sind daher auf internationale Personalauswahl angewiesen. Und diese Entwicklung lässt der genaueren Betrachtung von Bewerber-Faking zukünftig eher eine sehr viel wichtigere Rolle zukommen.

Sie untersuchen das Phänomen „Faking“ länderübergreifend in einem wissenschaftlichen Projekt. Gibt es im deutschsprachigen Raum Unterschiede?
Clemens Fell: Ja, bereits im deutschsprachigen Raum gibt es auf Länderebene systematische Unterschiede. Die sind nicht so groß wie jenseits dieser drei Länder, aber sie sind stabil. So werden in der Schweiz Faking-Verhaltensweisen im Mittel nur halb so oft gezeigt wie in Deutschland und Österreich. Aber auf der Ebene bestimmter Verhaltensweisen – wie wir sie bereits beschrieben haben – variieren diese Unterschiede. Bei der Frage, ob Negatives heruntergespielt wurde, zeigen sich praktisch keine Unterschiede in der Häufigkeit.

Worauf ist das zurückzuführen?
Cornelius König: Hier stehen wir noch am Anfang. Wir untersuchen dieses Phänomen nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weltweit. Bisher dachte man, dass sich solche Unterschiede vor allem mit den Bedingungen in einem Land – etwa der Arbeitslosenquote – erklären ließen. Dort wo für Bewerber die Gefahr, arbeitslos zu werden groß ist – so dachten wir – zeigen sie auch mehr Faking. Doch je mehr wir forschen, desto mehr kommen wir zu dem Schluss, dass es das allein nicht ist. Wir haben herausgefunden, dass es jenseits der Bewerber selbst auch kulturelle Merkmale eines Landes sind, die einen Einfluss auf das Fakingverhalten haben könnten.

Wie entstand die Idee, „Faking“ länderübergreifend zu untersuchen?
Clemens Fell: Dass es Faking gibt, war Wissenschaftlern und Praktikern schon früher klar, auch dass sich Bewerber vermutlich darin unterscheiden, wie stark sie faken. Aber vor dem Hintergrund der angesprochenen Internationalisierung der Arbeitswelt bekommt das Thema eine ganz neue Dimension. Wir fragten uns, ob man diese Unterschiede auch noch findet, wenn man die Untersuchung auf Länderebene erweitert. Außerdem stand die Frage im Raum, worin diese begründet sind.

Woran arbeiten Sie gerade? Was sind die weiteren Planungen?
CF: Wir versuchen derzeit die Frage zu beantworten, inwiefern die Unterschiede unter Bewerbern konform gehen mit dem Verhalten von Personalern in unterschiedlichen Ländern. Gibt es hier Länderunterschiede? Lassen sich Länderunterschiede in beiden Gruppen durch dieselben Variablen erklären? Wir sind gespannt, was wir hier in den nächsten Monaten und Jahren herausfinden werden.

Umfrage

Monster unterstützt die Universität des Saarlandes bei Ihrem Forschungsvorhaben zum Thema “Faking im Vorstellungsgespräch”. Ziel der aktuellen Studie ist es, mehr über die Einstellung von Personalern zu Bewerber-Faking zu erfahren. Wenn Ihr derzeitiger Job Rekrutierung oder Personalauswahl beinhaltet, möchten wir Sie herzlich um Ihre Teilnahme an einer Umfrage bitten. Die Umfrage erfolgt anonym und dauert ca. 2 min. 
http://ww3.unipark.de/uc/attirec/?a=r1