Candidate Experience: Wohin geht die Reise?

Candidate Experience: Wohin geht die Reise?

Was hat es auf sich mit der Candidate Experience? Wohin geht die Reise? Wir haben bei vier HR-Insidern nachgefragt – mit  teilweise offenem Ergebnis. Das zeigt, wie komplex die Zukunft von HR ist und dass es nicht die eine One-Size-Fits-All-Lösung für alle Unternehmen gibt. Stattdessen müssen Arbeitgeber von Fall zu Fall entscheiden.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Campusjäger

 

Die Ausgangssituation: An einem Tisch zusammen kommen Marcus K. Reif, Chief People Officer, HR-Experte und Blogger und Christoph Athanas, Geschäftsführer der 2008 von ihm gegründeten meta HR Unternehmensberatung GmbH. Mit von der Partie sind außerdem Joachim Diercks, Geschäftsführer der CYQUEST GmbH mit Sitz in Hamburg. Und: Stefan Scheller, der das Personalmarketing der DATEV eG verantwortet. Alle HR-Insider sind tief in der HR-Szene verwurzelt und betreiben ihre eigenen Blogs. Wir haben sie mit verschiedenen Fragen zum Thema Candidate Experience konfrontiert und ihre Antworten protokollarisch zusammengefasst. Los geht’s.

Candidate Experience – ist das nur der Bewerbungsprozess, wie ihn ein Bewerber erlebt?

Die Candidate Experience umfasst vielfältige Bereiche – da sind sich die Experten  Joachim Diercks, Stefan Scheller, Christoph Athanas und Marcus K. Reif einig. Aber was heißt das genau?

Stefan Scheller, Marcus Reif und Christoph Athanas finden, dass die Candidate Experience schon beginnt, wenn Talente erste Personalmarketing-Aktivitäten wahrnehmen. Da ist Joachim Diercks anderer Meinung. Er denkt, dass die Candidate Experience schon früher beginnt. Dann nämlich, wenn ein potentieller Kandidat als Kunde das Arbeitsklima wahrnimmt und schon das seine Einstellung zum Unternehmen beeinflusst.

Gibt es in punkto Candidate Expierience einen Unterschied in Bezug auf unterschiedliche Alters- und Berufsgruppen?

Einen Umgang auf Augenhöhe erwartet jeder Kandidat – da sind sich alle einig. Das sieht auch Marcus K. Reif so und meint, dass die Candidate Experience „die beste Visitenkarte des Unternehmens“ sein muss. Auch Stefan Scheller sieht das so. Er findet sogar, dass ein angenehmer Bewerbungsprozess auf den Erfolg des Unternehmens einzahlt.

Christoph Athanas geht da noch einen Schritt weiter. Aus seiner Pionierstudie geht hervor, dass die Candidate Experience aus drei Hauptkomponenten besteht:

  • Inhaltliche Klarheit
  • Emotionale Wertschätzung
  • Zuverlässige Ergebnisorientierung

Joachim Diercks wirft ein, dass es außerdem relevant sei, über welche Medien man mit den verschiedenen Generationen kommuniziert. Hier kommt es auf eine passgenaue Auswahl der Kanäle an.

Wie können Unternehmen eine positive Candidate Experience erzeugen?

Ziel eines Unternehmens muss es sein, interne Prozesse so effektiv und effizient wie möglich zu halten. Umso schneller erhalten Kandidaten zum Beispiel eine Rückmeldung – das stärkt die Candidate Experience. Da sind sich alle einig.

Doch hier sehen Joachim Diercks und Stefan Scheller ein Problem. Grundtugenden wie FreundlichkeitVerlässlichkeitEhrlichkeit und Wertschätzung würden laut Diercks aus dem Fokus geraten, wenn man sich zu sehr auf interne Prozesse konzentrieren würde.

Hinzu kommt: Der Arbeitsmarkt ist ständig im Wandel – Stefan Scheller sieht darin die Notwendigkeit, dass Personaler im Recruiting zielgruppenspezifischer- oder individueller kommunizieren sollten. Das könnte ein Problem für Unternehmen darstellen: „Eine 1:n-Kommunikation kann über klassische Marketing-Mechanismen oft noch geleistet werden. Der Switch in Richtung 1:1 Social Media- Kommunikation allerdings überfordert viele Unternehmen regelrecht.“

Young Professionals – wie kann man sie für das Unternehmen gewinnen?

Aus Sicht von Christoph Athanas gehen Young Professionals unerfahren in den Bewerbungsprozess. Er plädiert daher dafür, den Prozess so einfach wie möglich zu gestalten. Marcus K. Reif sieht das genauso und ergänzt die dafür notwendigen Punkte:

  • Schnelle Rückmeldung
  • Strukturierter Auswahlprozess
  • Einblicke in die Karrierechancen bei einem Unternehmen

Stefan Scheller hält Young Professionals außerdem für kritischer als Studenten, die schnell „übertriebene oder gar verlogene Darstellungen im Rahmen des Employer Brandings entlarven können“Wichtig sei daher, dass Young Professionals einen wirklich authentischen Einblick in das Unternehmen erhalten.

Was halten die Experten zur Automatisierung im Recruitingprozess?

Während der automatisierte Recruitingprozess in der HR-Branche oft kritisch gesehen wird, sieht Stefan Scheller eine große Zeitersparnis in der digital gestützten Vorselektierung der Kandidaten. Die gewonnene Zeit könne dann in die Kommunikation mit dem Bewerber investiert werden – zugunsten der Candidate Experience. Markus K. Reif sieht das hingegen kritisch: Die meisten Bewerbungen seien nicht homogen, sodass Algorithmen nur bedingt den gewünschten Effekt hätten.

Joachim Diercks und Christoph Athanas bereitet in diesem Zusammenhang der Faktor „Menschlichkeit“ Sorge. „Es darf nicht mehr und nicht weniger menschliche Zuwendung geben, nur weil eine Maschine die Vorarbeit leistet“, meint etwa Joachim Diercks.

Christoph Athanas ergänzt: Matching-Algorithmen werden von Menschen programmiert, die Fehler machen können. Darin sieht er eine potentielle Gefahr für das Recruiting. „Wenn ich meine mir unbewussten Wahrnehmungsverzerrungen oder Vorurteile einprogrammiere, habe ich am Ende keine Verbesserung an Auswahlobjektivität, sondern nur meine verzerrten Entscheidungen digitalisiert“, meint er.

Recruitingprozesse werden immer häufiger ausgelagert. Welche Folgen hat das für das Candidate Experience?

Die Experten sind sich einig – die Candidate Experience fällt durch das Outsourcing von Recruitingprozessentendenziell schlechter aus. „Personalauswahl und die Gewinnung von Talenten ist die top-strategische Herausforderung der Unternehmen“, bringt es Marcus K. Reif auf den Punkt.

Joachim Diercks sieht es differenzierter: „Wenn das Unternehmen das macht, damit es den nervigen Recruitingprozess los ist, sicherlich nicht. Wenn es das macht, um Standard-Prozessschritte effizienter zu machen, um dadurch mehr Zeit und Muße für die Betreuung und Umsorgung der passenden Kandidaten hat, dann kann das Sinn machen.“

Die Deutsche Bahn möchte das Anschreiben abschaffen. Leidet darunter die Qualität der Bewerbungen?

Bei dieser Frage sind die Experten zwiegespalten. Neben dem Lebenslauf, den Marcus K. Reif für ein historisches, aber notwendiges Artefakt hält, gebe das Anschreiben der Bewerbung eine persönliche Note.

Christoph Athanas hält das Anschreiben eher für überflüssig. Aus folgenden Gründen:

  1. Er habe noch nie ein wirklich gutes gelesen.
  2. Der Aussagewert für die Personalauswahl sei sehr gering bis nicht vorhanden.

Stefan Scheller pegelt sich in der Mitte ein. Er rät Unternehmen, selbst zu entscheiden, ob ein Anschreiben für die Personalauswahl sinnvoll sei oder nicht. Diese Thematik schneidet er in seinem Artikel “Das Bewerbungsschreiben ist nicht tot – es wird nur falsch eingesetzt” an.

Joachim Diercks spricht sich weder für noch gegen das Anschreiben aus. „Ein gutes Anschreiben kann ja sehr wohl helfen, den Bewerber besser einschätzen zu können“, meint er. „Ein schlechtes Anschreiben ohne Differenzierungspotential allerdings nicht.“