Candidate Experience ist ein Gamechanger

Candidate Experience ist ein Gamechanger, sagt Bernd Kraft (zum Zeitpunkt des Interviews Geschäftsführer bei Monster). Für ihn ist  Candidate Experience mehr als nur ein kurzlebiger Trendbegriff. In seinen Augen markiert er den Beginn einer neuen Recruiting-Philosophie, die die Personalbeschaffungsbranche nachhaltig verändern wird. Ein Interview.

Das Interview führten Katrin Luzar und Sonja Dietz

Gamechanger ist ein starker, prägnanter Begriff. Er legt einen massiven Wandel im Bereich Recruiting nahe. Wer wird ihn gestalten?
Wir alle gemeinsam: Personaler, Dienstleister und die Kandidaten. Im Recruiting geht es darum, Arbeitnehmern die besten Jobs und Unternehmen die besten Talente zu vermittelt. Es geht um die perfekte Passung, ein perfektes Matching. Hier ist viel Bewegung in den Bewerbungs- und Rekrutierungsprozess gekommen. Das Resultat ist eine größere Effizienz für beide Seiten.

Vermutlich ist der rasante technologische Wandel nicht ganz unschuldig daran…
Ja, das stimmt allerdings. Die technologischen Innovationen der jüngsten Vergangenheit wirken sich wie ein regelrechter Boost auf die Personalbeschaffung aus. Neue Recruiting-Technologien machen es einfacher, auch schwer auffindbare Kandidaten anzusprechen. Eine neuartige Suchmaschine durchkämmt das Netz zum Beispiel gezielt  nach öffentlichen Kandidateninformationen: Auf einschlägigen Fachforen und in speziellen Online-Communities. Alle relevanten Informationen werden dem Recruiter in einem übersichtlichen Format – ähnlich dem eines CV’s – präsentiert. Kontaktdaten inklusive.

Könnte das der Recruiter nicht manuell erledigen?
Die händische Suche nach Kandidaten über Suchmaschinen wie Google ist zeitaufwändig und nur dann wirklich effektiv, wenn der Name eines passenden Kandidaten schon bekannt ist. Dann können Recruiter gezielt  nach einem Talent suchen. Nach Lektüre und Abgleich aller gefunden Inhalte über die jeweilige Person entstünde vielleicht ein aussagekräftiges Bild. Unter Umständen fände sich sogar eine E-Mail-Adresse und der Weg zum Erstkontakt wäre geebnet. Wer hingegen ohne konkreten Namen versucht, High-Potentials zu finden, erhält keine brauchbaren Ergebnisse.

Und was hat das mit Candidate Experience zu tun?
Eine Menge. Die Software verschafft Personalverantwortlichen einen Zeitvorsprung und so können sie sich wieder auf das konzentrieren, was wesentlich in der Personalbeschaffung ist: die Kandidaten. Bei der Ansprache der Bewerber ist Feingefühl gefragt. Es ist wichtig, bei den Talenten von Anfang an einen guten Eindruck zu hinterlassen und alle Energie auf ein möglichst positives Bewerbererlebnis – die Candidate Experience – zu verwenden. Dank der Zeitersparnis durch die neue Technologie haben Recruiter Zeit, sich um die passgenaue Ansprache der Talente zu kümmern. Denn über Massenmails wird jeder Rekrutierungserfolg im Keim erstickt. Das merkt der Kandidat und springt ab. Chance vertan. Umgekehrt mögen es Recruiter ja auch nicht, mit Massenanschreiben abgespeist zu werden.

Eine Talentsuchmaschine also. Die einzige Innovation im modernen Recruiting?
Da ließen sich noch mehr Beispiele anführen, die übrigens alle eng mit dem Thema Candidate Experience verknüpft sind.

Nur zu…
Etwa Technologien, die bei der Erstellung einer optimierten Karrierehomepage helfen. Denn nichts ist für Kandidaten frustrierender, als wenn etwa die komplette Homepage eines Unternehmens responsiv gestaltet und somit bequem über Smartphone und Tablet abrufbar ist – nur der Karrierebereich nicht. Da fragt sich der Kandidat zwangsläufig: Bin ich es dem Arbeitgeber nicht wert? Auch das Thema Active Sourcing wird immer wichtiger: Die Direktansprache von Kandidaten.

Und das funktioniert auch mit technologischer Unterstützung?
Ja, denn zur Direktansprache von Kandidaten zählt auch, im Internet auf sie zuzugehen. Über Social Media zum Beispiel. Twitter hat sich als veritabler Recruitingkanal entpuppt. Dazu muss der Recruiter  allerdings alles richtig machen.

Spannend! Was zum Beispiel?
Die Halbwertszeit eines Tweets mit seinen gerade mal 140 Zeichen ist relativ gering. Eine viertel Stunde mag er im Netz überleben, dann ist er in der Regel weg. Doch mit dem Einsatz von Twitter-Cards lassen sich Stellenanzeigen auch über Twitter sehr gut sichtbar machen. Twitter Cards sind gestaltete Templates mit Logo, Text und Links, die einem Tweet ähnlich wie ein Bild angehängt werden können. Eine Anzeige im Miniformat sozusagen.

Die Spielregeln im Recruiting ändern sich also. Was ist Ihrer Meinung nach im nächsten Schritt zu tun?
Wer das Thema ernst nimmt, muss nicht nur über die Bewerbungserfahrung reden, sondern sollte sie auch selber erleben. Einige unserer Kunden haben erzählt, dass sie sich beim eigenen Unternehmen beworben haben…nicht immer mit den besten Ergebnissen. Doch eine solche Erfahrung ist wichtig. Häufig ist man ja gegenüber dem eigenen Unternehmen “betriebsblind”. Auf diese Weise konnten die einzelnen Kontaktpunkte analysiert werden und erste Optimierungen angestoßen werden.

Oft sind es gerade die kleinen Dinge, die geändert werden müssen. War das auch hier der Fall?
In der Tat muss man nicht alles anders, sondern nur manche Sachen besser machen. Ein schnelleres, individuelles Feedback auf den Bewerbungseingang kann im Wettbewerb um die besten Köpfe den entscheidenden Sympathiepunkt bringen, die Angabe eines direkten Ansprechpartners in der Stellenanzeige, die Möglichkeit, sich nur mit einer Kurzbewerbung vorzustellen, anstatt gleich die komplette Bewerbungsmappe zu übersenden.

Es schadet auch sicher nichts, direkt mit den Kandidaten in den kritischen Dialog zu gehen…
Das wäre sogar ratsam. Am besten mit den Bewerbern, die man am liebsten eingestellt hätte, die aber aus welchen Gründen auch immer nicht den Weg zur Stellenausschreibung, den Weg durch das Bewerbermanagementformular oder zum eigentlichen Jobinterview gefunden haben.

Ist “Candidate Experience” ein Trend, dem sich zunächst die Personalverantwortliche intensiv widmen müssen?
Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Es ist viel aktive Hilfestellung vonnöten, um Recruiter mit neuen technischen Werkzeugen und Recruiting-Methoden zu unterstützen sowie klare Handlungsempfehlungen in Sachen individuelle Ansprache der Kandidaten und der Aufbau einer belastbaren Arbeitgebermarke zu geben. Schlussendlich liefert uns der Begriff aber vor allem eine Möglichkeit, den Kandidaten noch mehr in den Fokus zu rücken und die Diskussion um die Zukunft des Recruitings konstruktiv und kritisch zu führen, um einfach immer besser zu werden.