Personalspitzen: Das Anschreiben – ein Märchen für Personaler

Bewerbungen per Email haben für den Bewerber einen eindeutigen Vorteil: Man muss keine ganze Seite mit einleitendem Text füllen. Ein Trend dem man unbedingt entgegenwirken sollte, findet unsere Kolumnistin Françoise Hauser in der aktuellen Ausgabe der Monster-Glosse PersonalSpitzen und zeigt am Beispiel des Anschreibens, wie viel Phantasie der Bewerber mitbringt, im die manchmal trostlose Realität zu schmücken.

Seien wir mal ehrlich – die Kernbotschaft eines jeden Bewerbungsanschreibens lässt sich im Grunde in einem Satz zusammenfassen: “Ich will bei Ihnen arbeiten”.  Dabei ist es geradezu putzig zuzusehen, wie sich die Bewerber abstrampeln, genau dies verklausuliert über eine Dreiviertelseite zu strecken! Was im Übrigen oft gar nicht so einfach ist, denn die wichtigsten Daten des Lebenslaufs noch einmal geschmeidig zu wiederholen, wird in den Personalabteilungen allgemeinhin als Schummelei empfunden – ja, hat der sich den gar keine Mühe gegeben?

Die Frage nach dem „warum“

Stattdessen heißt es für den Bewerber, sich intensiv der Frage des “warums” zu widmen: Verlangen Sie einen guten Grund, arbeiten zu wollen! Banale Begründungen wie “ich bin jung und brauche das Geld” zeugen von einer gewissen Wahllosigkeit, die man nicht durchgehen lassen sollte. Pluspunkte gibt es für die aufrichtige Sehnsucht, in genau Ihrem Unternehmen und keinem anderen zu arbeiten. Doch was ist mit all jenem, die eigentlich schon versorgt sind und nun freiwillig neu antreten?

Auch sie brauchen eine schöne Verbrämung, denn selbstverständlich gehört es sich nicht, den Leidensdruck am aktuellen Arbeitsplatz zu thematisieren. Bewerber lesen deshalb Stellenanzeigen immer mit “großem Interesse”, suchen “neue Herausforderungen”, oder streben danach sich “neu orientieren”, was ja letztlich auch auf eine Fehlorientierung schließen lässt.

Die Symbolik im Anschreiben verstehen

Neben diesen Elementen sind für Sie – die Profis in der Personalabteilung –  aber durchaus auch einige wirklich interessante Erkenntnisse drin, sofern man die klassischen Bilder zu interpretieren weiß – ein bisschen wie im Märchen, wo immer die gleichen Gestalten auftauchen, von denen man weiß, dass sie nicht existieren und doch eine klare Symbolik verkörpern.

Leidgeprüfte Leser wissen: Vieles im Anschreiben stammt aus dem Reich der Phantasie. Zumindest aber darf man für alles, was im Anschreiben steht, getrost einen Faktor drei veranschlagen, schon der Dramatik wegen. Hinter der “langjährigen Erfahrung” steckt oft  nichts anderes als “habe mal kurz in das Tätigkeitsfeld hereingeschnuppert”, eine “ausgeprägte Affinität” übersetzt man mit “habe mich zwar noch nie damit beschäftigt, aber ich glaube, ich kann das”, und das vollmundige “ich war teilprojektleitend tätig” wird gerne von Stiftehaltern und Kaffeeholern verwendet.

Nichts als die Wahrheit, oder doch nicht?

Andererseits steht im Anschreiben oft die blanke Wahrheit (meist dann, wenn man es nicht erwartet): “Ich bin in der Lage”, heißt nämlich genau genommen nicht, dass es der Schreiber auch tut. “Erfahrung im Simultandolmetschen können Sie erwarten” ist bei einer Stelle als Dolmetscher sicher richtig, bedeutet aber nicht, dass man sie zwingend bekommt, die Erfahrung. Andere Märchen-Floskeln wiederum arbeiten nach dem Ausschlussprinzip: Hinter der Aussage “ich arbeite gerne mit Menschen” verstecken sich oft schlicht fachliche Lücken, “bin praktisch veranlagt ” klingt schöner als “bin theoretisch eine Null” und die Aussage “die Stelle ist eine interessante Herausforderung”, ist auch dann richtig, wenn der Bewerber zum ersten Mal von diesem Fachgebiet hört – oder gerade dann? Den Verweis “wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen können” findet man in Kombination mit diesem Satz eher jedenfalls selten, denn hier gilt es, den genauen Blick eher zu verhindern.

Nicht zuletzt verrät das Anschreiben, in welcher Gehaltsklasse der Bewerber sich selbst ansiedelt: Je höher der Anteil der substantivierten Fremdwörter auf – ung, -ierung oder- ion, desto teurer. Versierte Bewerber scheiben nicht “Wiederaufbau”, sondern “Rekonstruktion”, nicht die “Bewertung” sondern die “Evaluierung” etc. Ab einem Verhältnis, pardon, einer Ratio, von 1:5 der Substantivierungen zu den restlichen Wörtern des Textes haben Sie wahrscheinlich eine Führungskraft vor sich, wobei Fremdwörter doppelt zählen (Adjustierung anstatt Anpassung, Realisierung anstatt Umsetzung und so weiter). Wörter mit “y” wie Synergie, Analyse, Strategy, Employer Branding und Ähnliches werden sogar dreifach angerechnet. Falls Ihnen das zu kompliziert wird – vielleicht ist es Zeit, doch auf Email umzustellen?

Françoise Hauser
hat Sinologie, Geographie und Angewandte Sprachwissenschaft studiert und schreibt als freie Journalistin seit vielen Jahren regelmäßig für diverse Magazine und Zeitungen sowie zahlreiche Fach- und Reisezeitschriften. Zudem ist sie regelmäßig als Dozentin für journalistische und interkulturelle Themen tätig, u.a. an der Donau Universität Krems, Österreich, der Burda Journalistenschule, und hat verschiedene Studienbriefe für die AKAD Hochschule und das Journalistenkolleg Berlin verfasst.Unter http://www.bewerberwahnsinn.de ist sie im Netz zu erreichen.