Candidate Experience: Der Recruiting-Prozess als positives Erlebnis für Kandidaten

Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Nicht mehr die Arbeitnehmer bewerben sich beim Arbeitgeber. In vielen Bereichen verhält es sich wegen des immer deutlicher spürbaren Fachkräftemangels umgekehrt. Ein positives Bewerbungserlebnis für Kandidaten – auch Candiate Experience genannt – wird deshalb immer wichtiger. Ein Interview mit Expertin Doris Brenner.

Das Interview führte Sonja Dietz

Frau Brenner, wie schätzen Sie die Lage ein? Sind Unternehmen, die diesem Sachverhalt nicht in angemessener Weise Rechnung tragen, langfristig noch wettbewerbsfähig?
Für Unternehmen, die sich den veränderten Marktgegebenheiten verschließen, wird die Luft auf dem Rekrutierungsmarkt immer dünner. Ein positives Arbeitgeberimage, eine professionelle Kommunikation mit Bewerbern sowie überzeugende auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Arbeits- und Rahmenbedingungen sind hier wesentliche Aspekte.

Candidate Experience ist ein recht umfänglicher Begriff. Lassen Sie ihn uns ein wenig transparenter machen.
Die Erfahrung, die ein Kandidat mit einem Unternehmen macht, beginnt weit vor dem ersten direkten Kontakt. Präsentiert sich das Unternehmen sympathisch und überzeugend in den unterschiedlichen Medien? Werden wesentliche Aspekte, die aus Sicht eines Bewerbers wichtig sind – wie etwa  Work-Life-Balance – bereits im Vorfeld aufgegriffen und authentisch anhand konkreter Beispiele dargestellt? Kommt es dann zum direkten Kontakt – sei es im Rahmen einer Rekrutierungsmesse oder über eine Bewerbung – gilt es dem Bewerber das Gefühl zu geben, dass individuell auf seine Fragen und Wünsche eingegangen wird. Selbst wenn es nicht zu einer Zusammenarbeit kommt, sollte der Bewerber ein positives Bild des Unternehmens mitnehmen, schließlich ist der Kandidat häufig auch Meinungsbildner für andere potenzielle Bewerber und man begegnet sich im Leben oft zweimal, sei es als Konsument oder Auftraggeber.

Einen ersten Eindruck vom Unternehmen vermitteln auch Homepage und Stellenanzeige. Was müssen Unternehmen beachten, um als kandidatenfreundlich wahrgenommen zu werden?
Bewerber wünschen sich einen möglichst realistischen Einblick in das Unternehmen und die Anforderungen der Stelle. Hier können O-Töne von zukünftigen Vorgesetzten oder Kollegen viel Vertrauensarbeit leisten. In unserer multimedialen Welt bedeutet dies auch verstärkt den Einsatz von Videos, um die Aussagekraft zu erhöhen. Wichtig ist auch, dass es dem Bewerber einfach gemacht wird, seine Bewerbung zu platzieren. Etwa über intuitiv zu bedienende Bewerbermanagement-Tools. Hier haben viele Unternehmen mit ihren Bewerberportalen noch Hausaufgaben zu machen.

Nehmen wir an, der Bewerber hat seine Unterlagen eingereicht und der Kontakt ist angebahnt. Worauf kommt es jetzt seitens des potenziellen neuen Arbeitgebers an?
Schnelligkeit ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Wenn der Rekrutierungsprozess professionell wirkt, ziehen Bewerber die Schlussfolgerung, dass das Unternehmen insgesamt gut aufgestellt ist. Außerdem hat ein Unternehmen, das schnell reagiert auch gerade bei guten, von mehreren Unternehmen umworbenen Kandidaten die Nase vorn.

Weiter geht’s: Bewerber und Unternehmen sind sich sympathisch, die Einladung zum Vorstellungsgespräch ist ausgesprochen. Was sollte der Arbeitgeber im Direktkontakt beachten?
Wichtig ist dem Bewerber das Gefühl zu geben, dass er ein Gespräch auf Augenhöhe führt. Wer Kandidaten durch arrogantes Auftreten, aufgesetzte Stressinterviews und unhöfliches Verhalten – lange Wartezeiten etwa – den Eindruck vermittelt, am längeren Hebel zu sitzen, wird gerade gute Bewerber nicht für sich begeistern können.

Soweit so gut. Selbst wenn bis hier hin alles optimal gelaufen ist. Aber auch die Nachbereitung eines Vorstellungsgespräches ist ausschlaggebend für die Candidate Experience!
Stimmt! Auch hier gilt wieder Schnelligkeit als wichtiger Faktor. Ein Bewerber sollte möglichst zeitnah eine Rückmeldung bekommen, ob seitens des Unternehmens ein weiteres Interesse besteht.  Offene Fragen, die sich aus dem Vorstellungsgespräch seitens des Bewerbers noch ergeben haben, sollten aufgegriffen und thematisiert werden.  Ist das Unternehmen an einem Kandidaten stark interessiert, sollte diese Rückmeldung telefonisch erfolgen, da sich im Rahmen des Telefonat am besten die offenen Punkte oder auch mögliche Bedenken eines Bewerbers aufgreifen und aus dem Weg räumen lassen.

Welchen Einfluss hat die „Candidate Experience“ auf die Außenwahrnehmung eines Unternehmens?
Wie bereits angesprochen ist jeder Kandidat auch Meinungsbildner in seinem Umfeld. Seine Erfahrung übt maßgeblich Einfluss auf das Unternehmensimage bei seinen Peers aus. Nicht zuletzt sind die Postings auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen für viele Bewerber heute eine Anlaufstation, um sich über Unternehmen zu informieren. Schlechte Bewertungen lassen sich nur schwer ausbügeln.