Personalspitzen: Die Lebenslaufexegese – verstehen Sie Bewerbisch?

In dieser Ausgabe unserer Glosse PersonalSpitzen nimmt unsere Autorin Françoise Hauser das Thema Lebenslauf unter die Lupe. Ihre Erkenntnis: Personaler und Theologen haben mehr gemeinsam als man annimmt: Beide Berufsgruppen beschäftigen sich immer wieder mit kryptischen Texten und versuchen sich in der sinnvollen Exegese.

Zum Beispiel beim Lebenslauf. Während Name, Adresse und Schulbildung noch recht interpretationslos dastehen, ist die Auslegung des Studienfachs durchaus keine leichte Aufgabe. Wer heute noch Mathematik oder Physik studiert oder sich mit simplem Wörtern wie Elektrotechnik oder Medizin begnügt, wirkt irgendwie blass – fast so, als habe es nicht zu einem spannenden Fach gereicht.
Wie schillernd kommen stattdessen Komparatistik, Kynologie, Materialographie oder Parallele und verteilte Systeme daher! Auch Coffeemanagement und Promenadologie entbehren nicht eines gewissen Charmes. Letzteres ist übrigens allen Ernstes eine Unterdisziplin der Architektur, und ja, es geht dabei wirklich ums Spazierengehen.

Sprachgewaltige Worthülsen

Anbetracht dieser Sprachgewalt will man auch bei den Ausbildungsberufen nicht hinten anstehen und hat flugs nachgelegt: Kfz-Mechaniker und Arzthelferinnen waren gestern. Heute wird man Mechatroniker und medizinische Fachangestellte, Drucker sonnen sich im Glanz des “Medientechnologen” und Lackierer antworten auf die Frage “und was machst Du so” auch viel lieber mit “Verfahrensmechaniker für Beschichtungstechnik”. Ganz offiziell übrigens.

Das ändert zwar nichts am Gehalt, macht aber was her. Doch zurück zur Uni: Wer langweilige, konventionelle Fächer studiert hat, muss nicht sofort kleinbeigeben. Stattdessen bietet sich ein kreativer Umgang mit dem Studienschwerpunkt an. Glücklicherweise ist dieser in den Abschlusszeugnissen meist nicht vermerkt. Aus Anglistik wird dann im Handumdrehen Wirtschaftsenglisch, aus Sinologie das “moderne Chinesisch mit dem Schwerpunkt Handel & Vertrieb” und aus dem Studium der Betriebswirtschaftslehre eine Marketing-Vertiefung.

Pimp up your CV

Anbetracht der liebevollen Vorarbeit bei der Formulierung von Ausbildung und Studium ist es quasi schon eine Frage der Intelligenz, dass man den Fokus der letzten Tätigkeit ebenfalls ein klitzekleines bisschen an den anvisierten Job anpasst – daran soll es schließlich nicht scheitern! Nehmen wir beispielsweise den arbeitslosen Germanisten, der sich als Taxifahrer verdingt, bis sich ein besserer Job auftut: Dies nüchtern zuzugeben wäre geradezu fahrlässig, denn fortan haftet ihm die Aura des Versagens an (und nein, das ist keine Mär, sondern geradezu ein Faktum).

Beschreibungen wie “Taxischein, regelmäßige Nachtschichten als Taxifahrer” wirken also wenig überzeugend. Der gewiefte Bewerber macht daraus “Teilnahme an einer firmenbasierten Studie (Bereich Germanistik) zur aktuellen Verwendung von Richtungsangaben in der Alltagssprache: Empirische Phase der Datensammlung”. Wirklich gelogen ist das ja nicht. Also, fast gar nicht.

Alles gelogen? Höchstens ein bisschen!

Aus der Aushilfskraft am Grill eines Hamburger-Restaurants wird so “Teilprojektverantwortung in einem kulinarischen Unternehmen (Major Player)”, aus Zeitarbeitstätigkeiten im Büro wie Aushilfssekretärin “Interim Office-Management” und aus dem Babysitter ein “Supervisor im erzieherischen Bereich”. Hinter der “juristischen Weiterbildung in Vollzeit” könnte ein simpler Knastaufenthalt stecken, und sogar der Dealer lässt sich als ” Drogist im Außendienst” veredeln. Der Barkeeper wiederum kümmert sich um die “therapeutische Ansprache, Stabilisierung und Supervision labiler Kunden” während der Kollege im Service für “Implementierung gastronomischer Konzepte, Beratung, Verhandlungen mit Kostenträgern” zuständig ist.

Auch wenn es um die Sprachkenntnisse und andere “Soft Skills” geht, zeigt sich schnell, wer den Mut zu einer rundum perfekten Präsentation mitbringt. “Grundkenntnisse” einer Sprache übersetzt man meist korrekt als die völlige Unfähigkeit, mehr als “Guten Tag” und “Auf Widersehen” zu sagen. Positiv werten sollte man jedoch den Versuch, optische Verschönerungen zu bewirken – es sieht einfach nicht gut aus, wenn die (möglicherweise ebenfalls fiktiven) Englischkenntnisse so ganz allein da stehen! Der Begriff “verhandlungssicher” wird dabei genauso inflationär gehandelt. Oder anders formuliert: Verhandlungssicher bedeutet oft nur, dass diese Qualifikation in die Verhandlungsmasse gehört, also all jene Qualifikationen, über die man dringend nochmal sprechen müsste.

Zugegeben, das alles mag ein kleines bisschen übertrieben sein. Aber liebe Personaler – mal ehrlich: Wann haben Sie das letzte Mal einen unprätentiösen Lebenslauf gesehen? Oder besser noch: die dazu passende unprätentiöse Stellenanzeige?