Recruiting gestern, heute und in der Zukunft: Unternehmen bewerben sich beim Kandidaten
Wie hat sich das Recruiting in den letzten Jahren verändert? Wohin geht die Reise? Diplom-Volkswirt und Arbeitsmarktökonom Marek Kaatz beschäftigt diese Fragestellung schon lange. Sie war Thema seiner Diplomarbeit. Aktuell sitzt er bei Monster am Puls der Zeit und erlebt die Trends in der Personalbeschaffung nicht nur hautnah mit. Als Sales Consultant hat er einen tiefen Einblick in den Markt. Ein Interview.
Marek, du beschäftigst dich schon sehr lange mit dem Wandel in der Personalbeschaffung. Was hat sich im Recruiting verändert?
Es ist interessant zu beobachten, dass die Prognosen, die wir in den 90ern gemacht haben, jetzt eintreffen. Manche Dinge haben sich anders oder schneller entwickelt als erwartet. So konnte man den rasanten Aufstieg der Online-Stellenbörsen Ende der 90er Jahre noch nicht erahnen. Auch die neuen Recruitingmöglichkeiten wie Social Recruiting oder Active Sourcing, die uns die medial vernetzte Welt inzwischen bietet, waren so nicht vorhersehbar.
Aber der Wandel war bereits auszumachen und stellt sich jetzt ein.
Stimmt. Wobei wir noch am Anfang der Entwicklung stehen. Wir spüren den Fachkräftemangel jetzt in bestimmten Berufsgruppen – zum Beispiel bei Pflegekräften und Pädagogen, in der IT und im Ingenieurwesen, aber die Situation wird sich in den nächsten 40 Jahren verschärfen.
Was veranlasst dich zu der Annahme?
Ein starker Aspekt ist der demographische Wandel. Wer heute – so wie ich – um die 50 ist, gehört zu den Jahrgängen zwischen 1965 und 1975. Das war vor der Pillenknick-Generation. Wir waren immer viele. Klassenstärken von 35 Kindern waren die Regel. Wir haben uns nach der Schule mit hunderten anderen um Lehrstellen oder Studienplätze bemüht und nun gehen wir mehr oder weniger gemeinsam in die Rente. Damit haben Unternehmen auf einmal eine neue Arbeitsmarktsituation. Denn die nachfolgenden Generationen rücken nicht in der Zahl nach, in der wir den Arbeitsmarkt verlassen. Das wird den Fachkräftemangel erheblich verstärken.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmen müssen erkennen, dass sich der Markt von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt wandelt. Momentan bewirbt sich der Kandidat noch beim Unternehmen. Doch das verkehrt sich immer mehr ins Gegenteil. Denn Kandidaten können immer häufiger zwischen verschiedenen Angeboten wählen. Kürzlich berichtete mir ein Kunde, dass ein sehr gut ausgebildeter Kandidat das Bewerbungsgespräch komplett umgedreht hat. Er hatte einen Fragenkatalog dabei und seine Fragen der Reihe nach abgehakt.
War er denn zufrieden?
Das ist es ja: Nein, war er nicht. Das Unternehmen war nicht optimal vorbereitet und der Kandidat hat daraufhin abgesagt. Wir haben diese Situation jetzt in ausgesuchten Berufen. In Zukunft werden wir diese Kehrtwende in allen Bereichen, Branchen und Sektoren spüren.
Wie können sich Unternehmen auf diese neue Situation vorbereiten?
Ein erster Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass alles Handeln und die gesamte Außendarstellung jeweils ein Mosaikstein der eigenen Employer Brand ist. Das betrifft Stellenanzeigen, Social Media Kanäle, die Karriereseite oder den Auftritt bei Karriereevents. Diese Touchpoints müssen authentisch sein und sollten möglichst echte Einblicke ins Unternehmen bieten und Kandidaten genau mit den Informationen versorgen, die sie interessieren.
Laut unserer Studie Recruting Trends fallen darunter zum Beispiel Informationen über das Betriebsklima, Weiterbildungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Angebote oder Karrierechancen. Doch so tief ins Detail gehen Unternehmen meist nicht.
Nein, leider nicht. Allzu oft kommen die Texte für die Stellenanzeigen oder auch das Bildmaterial von den Marketingabteilungen – eben von den Kollegen die sonst für die Produktwerbung zuständig sind – und so haben wir häufig die klassische Stellenanzeige mit einem Bild von einer Maschine oder dem schönen Firmengebäude statt mit echten Mitarbeitern. Und wir hantieren mit austauschbaren Textbausteinen wie „wir sind ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen und Marktführer im Bereich….“. Bei den Benefits steht dann „nettes Team“, „flache Hierarchien“, „herausfordernde Tätigkeit“ und „adäquates Gehalt“. Das sind keine Einblicke ins Unternehmen, sondern gehört in den Bereich der Floskeln.
Wäre es da nicht besser, in der Stellenzeige Emotionen zu transportieren – und die Botschaft: „Sieh her – dieser Arbeitsplatz ist besser als dein aktueller, weil wir dir genau die Mehrwerte bieten, die du dir als Arbeitnehmer wünschst“?
Ganz genau. Der nächste Schritt wäre dann die zielgerichtete Verbreitung von Anzeigen über Google / Facebook und Co. Wir sind zertifizierter Google Partner und verfügen über das nötige Wissen, Anzeigen sehr genau an die Zielgruppe auszuspielen. Dies macht aber keinen Sinn, wenn die Anzeige als solche nicht aussagekräftig genug ist. Wir erzielen dann nur einen kostenintensiven Traffic mit einer hohen Absprungrate: Also, es bewirbt sich niemand. Daher ist es wichtig, dass wir, bevor wir uns über Reichweite, Zielgruppe usw. im Recruiting unterhalten, die Anzeige optimieren. In dem Zusammenhang finde ich, unsere neuen Workshops spannend, in denen HR-Abteilungen lernen, wie man heute modern und zielgerichtet textet.
Und wenn ein Arbeitgeber gar nicht weiß, wofür er steht, bietet Monster wir auch dafür einen Employer Branding Workshop an…
Wichtig ist allerdings zu verstehen, dass wir keine Employer Brand schaffen können, genau wie wir bei Monster nichts gegen den demographischen Wandel oder den Fachkräftemangel tun können. Was wir tun können: Unternehmen fit zu machen, stark aus dem War of Talents hervorzugehen. Denn eines ist klar. Langfristig wird am Markt nur der bestehen, der die besten Talente für sich gewinnt. Ich höre schon heute oft, dass Aufträge nicht abgewickelt werden können, weil die Fachkräfte fehlen. Die Frage ist wie oft und wie lange sich ein Unternehmen das leisten kann.
Etwas düstere Aussichten, gibt es auch einen positiven Ausblick?
Die Regeln haben sich geändert, das muss man verstehen und akzeptieren. Gute Mitarbeiter und Talente gibt es noch genug. Die Unternehmen müssen sie nur anders ansprechen und im Recruiting umdenken. Da spielen auch solche Dinge eine Rolle wie: Inwiefern akzeptiere ich ältere Mitarbeiter und Frauen und biete Teilzeitmodelle, Home-Office oder Work-Life-Balance-Angebote an? Was biete ich über ein adäquates Gehalt hinaus? Und nicht zuletzt: Wie kann ich den Bewerbungsprozess optimieren? Ist die mobile Bewerbung möglich? Kann sich das Talent über Social Media Kanäle bewerben? Reicht eine Kurzbewerbung per App? Im Prinzip beginnt die Willkommens-Kultur eines Unternehmens bereits in der ersten Ausschreibung.
RECRUITING TRENDS 2019
Lesen Sie passend zum Thema das Themenspecial Employer Branding aus unserer jährlichen Studienreihe Recruiting Trends.
Der Inhalt: Die Mehrheit der Unternehmen gibt an, die Anzahl ihrer Mitarbeiter im Jahr 2019 steigern zu wollen und geht auch weiterhin von einer hohen Zahl von Vakanzen aus: Durchschnittlich 138 bei den Top-1.000-Unternehmen und 158 bei den IT-Unternehmen. Dazu vergeben sich die Unternehmen mittlerweile eine glatte Note „3“, wenn es um das eigene Employer Branding geht. Hier besteht noch Luft nach oben. In der Studie erfahren Sie, worauf Arbeitnehmer bei der Arbeitgebermarke vor allem achten.